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05 #Technopol

Wer erinnert sich nicht noch an den Wahlspruch der FDP aus dem Wahlkampf 2017: „Digital first. Bedenken second“, mir scheint es so, dass dieses Motto derzeit umgesetzt wird. Die Tech-Giganten freuen sich über unsere „24-stündige Aufmerksamkeit im Netz, denn wir sind zunehmend dauerhaft „On“. Waren wir früher per Kabel mit der digitalen Welt verbunden, sind wir es seit einiger Zeit „kabellos“. Seit neuestem brauchen wir nur noch zwei Kopfhörer (Airpods) zur Kommunikation. Unsere Stimme ist die neue Benutzeroberfläche, dank „Siri“ und „Alexa“, es soll die digitale Brille (Augmented Reality) folgen, die uns alle Informationen direkt auf die Augen drückt und uns so mit allen Geräten verbindet.
Mit einer unfassbare Entwicklungsgeschwindigkeit im Bereich der Technologie, rasen wir vorwärts. Neil Postman schrieb 1991 über die zunehmende Entmündigung der Gesellschaft und dass die Technik das Kommando über die wichtigsten Begriffe, wie Freiheit, Wahrheit, Intelligenz, Tatsache, Weisheit, Erinnerung, Geschichte übernimmt und sie neu definiert. Er verwendet den Begriff „Technopol“ und so nennt sich auch sein Buch. Im Technopol unterliegen praktisch alle Formen des kulturellen Lebens der Vorherrschaft von Technik und Technologie. (1)
Mittlerweile sind fast 30 Jahre vergangen und unter den sieben wertvollsten Unternehmen der Welt befinden sich sechs Internetkonzerne: Apple, Microsoft, Alphabet (Google), Amazon, Facebook und Alibaba. Konkret bedeutet dies: Eine kleine Gruppe von Personen und Firmen bestimmt über unsere Zukunft. Yuval Noah Harari bezeichnet die Personen in seinem Buch „Homo Deus“, als Dataisten. Das sind für ihn Menschen, die lieber Big Data und den Computeralgorithmen vertrauen als dem menschlichen Wissen und der menschlichen Klugheit. Die Kräfte des Marktes bestimmen, und die tun natürlich alles, was gut ist für die Shareholder und den Profit. Menschliche Bedürfnisse oder das Wohl der Welt interessieren da nicht so stark. (2)
Für die Dataisten ist die Frage: Wie wollen wir leben, nur eine Frage der Technologie, der neuesten technischen Erfindungen. Elan Musk (Tesla) produziert keine Autos, sondern ein „iPhone auf Rädern“ (Zeit 19/2020). Mittlerweile ist Tesla besser an der Börse notiert als alle deutschen Autohersteller zusammen. Jede Kamera auf der Welt ist ein Datengenerator. Etwa 600 Millionen (!!) intelligente Kameras überwachen China (13), per Gesichtserkennung wird alles gespeichert und direkt ausgewertet sowie mit den Zentralrechnern von Alibaba abgeglichen. Beim falschen Überschreiten der Straße wird sofort auf der Gegenseite das Foto des Übeltäters angezeigt. Kein Schritt bleibt unbeobachtet. Dank Gesichtserkennung kann man mittlerweile mit seinem bloßen Gesicht bezahlen. Alles wird in ein Punktsystem eingebunden, welches Begünstigungen oder Benachteiligungen für alles anzeigt und Tag für Tag ausführt. Durch eine unglaubliche Menge an Daten, will China eine Gesellschaft erschaffen, die frei von abweichenden Meinungen ist, so Sophia Richardson -Human Right Watch (14). „Wenn man die Kontrolle hat, was der Mensch liest und täglich unternimmt, hat man auch die Kontrolle, was er denkt“, sagt der Philosoph Tobias Rees (14). Wenn jetzt Maschinen denken lernen, was ist dann unser Platz in der Welt? Wir haben es uns abgewöhnt nach dem Warum und Wozu zu fragen, denn das Technopol fragt nur nach dem Wie!!
Es gibt sicherlich kein Zurück in eine weltweit dörfliche Struktur -trotz dem Slogan vom „weltweiten Dorf“ in das uns die Globalisierung geführt hat. Wir leben alle seit der Einrichtung des Internet in diesem großen gemeinsamen Dorf. Mir scheint aber, unser Dorf-Problem ist eher die Abkopplung der technologischen Entwicklung von dem ganz normalen Dorf-Leben und seinen Problemen, dies nicht nur bei uns zu Hause, sondern weltweit. Wo an den Börsen in Millisekunden Billionen von Dollar per Algorithmus verschoben werden, wo überall auf der Welt Arbeiterinnen von jetzt auf gleich vor dem Nichts stehen, weil die Produktion für den Weltmarkt gerade ausfällt, wo Kulturschaffende weltweit mit Applaus bedacht werden, wenn sie Konzerte kostenlos aus ihrem Wohnzimmer bestreiten, wo Rassismus zunimmt und die nationalen Egoismen, da wird uns versprochen, dass die zunehmende Digitalisierung alle unsere Problem lösen wird? Willkommen bei den Tech-Giganten des 21. Jahrhunderts.
Im ganz normalen, realen Leben in unserem „weltweiten Dorf“, stehen wir vor anderen Problemen, vor der gespenstische Plünderung der Ressourcen der Welt und den damit verbundenen ökologischen Fragen: Klimawandel, Müllprobleme, Überfischung, Artensterben, Luftverschmutzung, Wasserknappheit Energieerzeugung, zunehmender Ungleichheit, Arbeitslosigkeit etc. All dies zusätzlich zur Corona-Pandemie, der mangelnden Kooperation durchgeknallter Staatenlenker, Abbau demokratischer Rechte, und den vielfältigen Exit-Strategien. All das wartet dringend auf Lösungen. Wir stecken tiefer denn je in einer technologischen Abhängigkeit und verlieren darüber den Blick, den Sinn und das Gefühl für die wichtigsten Dinge im Dorf-Leben. Eines unserer derzeitigen Dilemma ist, wie es Scott Galloway von der New York University ausdrückte: In Zeiten von Corona erleben wir „die Beschleunigung von digitalen Entwicklungsprozessen“, die normalerweise Jahre dauern, in wenigen Tagen, gleichzeitig hält die Menschheit, quasi analog 15, Meter Abstand untereinander (16)
Warum sollten nicht auch alle anderen Menschen des Planeten so leben wie wir? Auf ein „Ja“ folgt die Überlegung, ob alles so weitergehen kann, mit der Steigerung von allem? Steigerung von Ressourcenverbrauch, Steigerung des Verlustes an Artenvielfalt, Steigerung der Bodenerosion, Steigerung der weltweiten Temperatur, Steigerung des Konsums, mehr Verkehr, mehr Wasserverschwendung mehr, immer mehr. Die neuesten, sauberen Technologien sollen es „wieder einmal bringen“, dass wir weiter machen können mit der Steigerung von Konsum und Verbrauch, bei gleichzeitiger Ausweitung dieses Modells weltweit und gleichzeitiger Schonung der Ressourcen. Der Kabarettist Hagen Rether würde wahrscheinlich sagen: „Wer hat uns ins Gehirn geschissen“.
Das Technopol entwickelt sich unbeirrt weiter, es verheißt uns die Lösung all dieser Probleme durch das „Internet der Dinge“. Das bedeutet, das alle Klein- und Kleinstcomputer in allen Arbeits- und Lebensbereichen miteinander vernetzt werden. Allein für Deutschland rechnet man bis 2025 mit einem zusätzlichen Wachstum von 78 Milliarden Euro. Wir sind schon so mit diesem Internet der Dinge verbunden, dass wir gar nicht anders mehr denken können. Derzeit gilt das Internet der Dinge (4.0 Industrielle Revolution) als „einzige potentielle Wachstumsmöglichkeit“ (3). Der digitale Wahnsinn läuft in der Krise einfach weiter, es fehlen nur mehr Leitungen, Glasfaserkabel, Stromtrassen, G5, Windräder, Elektroautos, gigantische Infrastrukturmaßnahmen, damit die Lösungen aller Probleme durchgeführt werden können.
Unsere DATEN, und nur darum geht es heute, erhöhen einerseits in großem Maße den CO2 Ausstoß und werden andererseits zu Geld gemacht, das ist der technologische Sprung nach vorne. Den großen Tech-Konzernen geht es nicht um Produkte, es geht ihnen einzig um die Daten der Nutzer. (3) Für Felwine Sarr (9) haben wir uns schon jetzt, dank der Technologie von Zoom, Skype, WhatsApp etc. zu „virtuellen Wesen verwandelt“ und überwinden so die „nervigen biologischen Zwänge“.
In der Corona-Krisenzeit wird das Dilemma in dem wir stecken sehr deutlich: Einerseits beschäftigen uns die ganz banalen (biologischen) Dinge wie Kita- und Schulöffnungen, Abstandsregeln einhalten, Wiedereröffnung von Restaurants, permanentes Händewaschen, Schlange stehen, fehlender Regen, fehlende Masken. Zeitgleich wird die zunehmende Digitalisierung bejubelt, diese „saubere“ Technologie, die all unsere Probleme lösen soll. Körperlich spürbar wird dieses Dilemma in vielen Familien, wo das Home-Office, als neueste Entdeckung der Arbeitswelt, mit Kindern auf dem Schoß oder schreiend im Hintergrund, durchgeführt wird. Gleichzeitig können wir also eine dreckige Windel wechseln, einen Vertrag über einen Großauftrag in China abwickeln, die Rollladen per App schließen, der Kühlschrank meldet fehlende Milch, die Rasensprenkleranlage im Garten startet, der Lieferservice mit den Bio-Lebensmitteln klingelt an der Tür, nur die rumänische Putzfrau darf wg Corona nicht kommen.
Wir folgen also dem Geist des Solutionismus, d.h. der Idee alle Probleme der Menschheit durch ertragreiche Geschäftsmodelle einer technologischen Lösung zuzuführen. (3) Die Lösung ist nur eine App entfernt, gleichzeitig sind wir aber offensichtlich zu blöd, rechtzeitig Schutzanzüge und Mundschutz zu organisieren.
Aber Amazon denkt auch da schon weiter, wie die SZ vom 9. Mai berichtet. Gemeinsam mit Waren Buffet und der JP Morgan Chase Bank will Amazon eine Krankenversicherung für amerikanische Angestellte aufbauen, was Sinn macht, denn „Amazon kennt bereits den Body-Mass-Index und weiß, ob Sie einen gesunden Lebenswandel pflegen.“ (16)
Wir verdrängen dabei, dass die Macht der Tech-Konzerne (das Technopol) und ihre Fantasien von künstlicher Intelligenz, zunächst von der „ver-smartung“ unseres kompletten Lebens, einen ungeheuren Bedarf an Energie erfordert, den wir zusätzlich zu den anstehenden Einsparungen in Sachen Klimazielen, erbringen müssen. Allein der Stromverbrauch für die nicht genutzten Daten (Dark-Data *also sinnlos archivierte Daten) beläuft sich für 2020 auf einen Ausstoß von 6,4 Millionen Tonnen CO₂. (10). Der weltweite Ausstoß von CO2 insgesamt liegt derzeit bei knapp 35 Milliarden Tonnen (Anteil sinnlos archivierter Daten grob geschätzt 0,02% bei steigender Tendenz). Leider hat die Digi-Religion, wie Harald Welzer es nennt, keine Lösungen für die Probleme, die sie selber mit ihren digitalen Wundermaschinen erzeugen – als da wären: steigender Energiebedarf, stetige Steigerung von Konsum und zugehörigem Materialbedarf, wachsende Mobilität, immer kürzere Produktzyklen, immer mehr Fremdsteuerung und Verletzlichkeit der Systeme und verbunden mit alledem eine voranschreitende Naturzerstörung. (11) All dies sind typische Merkmale von Ambiguität.
Thomas Bauer (5) setzt sich mit dem Problem der Ambiguität auseinandergesetzt, also mit Phänomenen der Mehrdeutigkeit, der Unterscheidbarkeit und Vagheit, mit denen wir jeden Tag konfrontiert werden. Im normalen Leben ist fast nichts eindeutig, jede Entscheidung ist eine Abwägung, im Gegensatz zur Welt der Algorithmen. Dort gibt es nur klare und eindeutige Entscheidungen. Unter Corona-Krisen-Bedingungen lieben wir Eindeutigkeit, also eine klare Bewertung, kein Hin und Her: Eine Entscheidung! Mein Blick geht in Richtung Süden und landet bei Markus Söder, der ja im Moment tonangebend in Sachen „Entscheidungen“ ist. Der Ausdruck „alternativlos“ hat sich in den letzten Jahren eingebürgert. Was nicht eindeutig ist, verunsichert uns, jetzt zu Zeiten von Corona ist dies besonders ausgeprägt. Jede Pressekonferenz von Politikern und Virologen strotzt vor Ambiguität, täglich wechselt die Meinung, anschließend beginnt die Diskussion in den Medien, der Öffentlichkeit unter Politikern und in den Verbänden. Wir wünschen uns stets eine klare Linie. „Demokratien“, so Bauer (5) „sind auf ein hohes Maß an Ambiguitätstoleranz angewiesen“, da sie „keinen Anspruch auf Wahrheit oder andauernde Gültigkeit erheben“. Wenn die Mehrdeutigkeit verloren geht, so die These von Bauer, übernimmt der Markt die Macht, da er allem einen exakten Wert zuordnet (5).
China zeigt uns derzeit schon, wie man diese Ambiguität, also Mehrdeutigkeit vermeidet. Xi Jinping und die KP entscheiden, was passiert. Sind wir nicht auf dem gleichen Weg? Verkaufen wir nicht auch unsere Privatheit und verlieren dadurch die demokratische Grundbalance? Die Erosion der Demokratie ist scheinbar nur ein Nebenschauplatz bei den derzeitigen Lösungsstrategien in den Pandemie-Zeiten. Der Stärkere mit der besseren Lobby setzt sich durch. Zu Zeiten des Technopols kennen die Algorithmen uns besser als wir selber. (11) Ist das mit einem demokratischen System vereinbar? Geben wir nicht damit „demokratische Macht“ ab? Wissen ist Macht -haben wir da noch eine Chance gegen das Technopol? Digital first, Bedenken second? „Das Internet ist heute eine freie und rechtlose Zone, die staatliche Souveränität untergräbt, Grenzen ignoriert, die Privatsphäre abschafft und vermutlich das größte globale Sicherheitsrisiko darstellt“, belehrt uns Yuval Harari. (2)
Wahrscheinlicher ist, dass wir mit Covid-19 eine Richtung einschlagen werden, die zu einer Beschleunigung der digitalen Datenverarbeitung in Richtung totaler Kontrolle / Überwachung führen könnte. Eigentlich sollte sie uns bei der Lösung rein technischer Probleme helfen. Auf dem Weg in die komplette digitale Lebensstruktur, gibt es daher viele kleine Annehmlichkeiten, die uns im täglichen Alltag Lösungen und Hilfen anbietet und uns auf den Einstieg in die künstliche Intelligenz vorbereiten, unbewusst, es ist halt alles so einfach und wenn nicht, erfinden wir eine neue App. „Jede technologische Neuerung wird zunächst so präsentiert, unter Betonung ihres Nutzens für humanitäre Belange, um uns blind zu machen für ihre Nebenwirkungen und Konsequenzen“, mahnt uns Slavoj Zizek. (12).
Auf dem Weg uns überflüssig zu machen braucht es nur noch eine Zeitlang Menschen für die niedrigen Arbeiten: Nahrung produzieren, Müll entsorgen, Alte und Kranke pflegen, für Sicherheit sorgen etc.. Viele der „Drecksarbeiten“ werden aber heute schon per Roboter erledigt, Kassiererinnen wird es demnächst nicht mehr geben. Roboter für die Betreuung im Altenheim erfreuen sich großer Beliebtheit. Unser, durch Corona entstandenes Problem, dass wir ältere Menschen nicht mehr im Altenheim besuchen können, löst sich so digital einfach. In den Vorstellungen der Dataisten reduziert sich unsere Aufgabe aufs Konsumieren all der glückseeligmachenden Entwicklungen, die eine beständige Neuerung erfahren.
Um all das in unseren Alltag zu implementieren ist eine entsprechende Bildung notwendig. Diese Bildung muss dazu beitragen uns als Individuen zu konditionieren, mit Zertifikaten und Kompetenzen für eine Teilnahme am digitalen Leben vorzubereiten. „Die Digitalisierung der Wirtschaft erfordert auch eine Digitalisierung der Bildung als Vorbereitung an der Wirtschaft teilnehmen zu können“, wie Staap es ausdrückt (3). Auf der Strecke bleiben die manuellen Kompetenzen, „sie beschränken sich auf die Bedienung eines Touchscreens“ (4). Bleibt die Frage: Warum müssen die Schüler überhaupt noch bestimmte Dinge lernen? Die Bedienung eines Touchscreens reicht doch, denn die Computer können mittlerweile alles besser, wissen mehr, haben immer eine Lösung. Schule hat „systemrelevant“ nur die Aufgabe, die Schüler auf ihre Zukunft als digitale Anwender vorzubereiten, die dann das digitale Leben als das „neue normale Leben“ wie es derzeit genannt wird empfinden.
Aber für den Schulleiter Wolfgang Schimpf ist das menschliche Miteinander, „Das wichtigste Fundament schulischen Lebens“. „Soziale Interaktion lässt sich eben nicht in Maschinensprache abbilden. Solche „Unübersetzbarkeiten“ klarer zu erkennen ist ein wichtiges Resultat der derzeitigen Entwicklung.“ Langsam dämmert es manchem: Ein Rebooten des Gesamtsystems globalen Lebens mit einfach nur fehlerfreierer Software wird es nicht geben. Für einen Unterricht, der Persönlichkeitsbildung zum Ziel hat, ergeben sich neue Grundfragen. Unser Königsweg, des „Höher, schneller, weiter“ führt zu einer Destrukturierung des Alltags, darüber sollte in der Schule reflektiert werden. (8)
Für Postman war schon vor 30 Jahren klar: „Wenn wir einer neuen Technik den Zugang zu unserer Kultur gewähren, dann müssen wir dies mit offenen Augen tun“. „Das Ziel besteht nicht mehr darin, Unwissen, Aberglaube und menschliches Leiden abzuschaffen, sondern darin, uns den Anforderungen der neuen Technologien anzupassen“. (1) Keine beruhigende Erkenntnis. Bis letzte Woche wollte ich mir eigentlich auch die „Corona-Tracking-App“ herunterladen, mit der kontrolliert werden kann, ob man eine/n Corona-Infizierten getroffen hat. Stand jetzt, werde ich es nicht tun. Schließlich ist da noch die Nachricht, dass Google und Apple gemeinsam eine App für Contact Tracing entwickeln wollen. Deren Smartphones haben die Wege und Aktivitäten ja schon immer verfolgt.
In unsere „keimfreie fortschrittliche Welt von Kernkraft, Laserchirurgie und virtuellen Technologien brach die primitive Welt der tödlichen Seuchen aus“, schreibt Eva Illouz (6). Keine noch so moderne Technik, kein Internet der Dinge hat uns davor gewarnt, nur einige Virologen, die bisher ein Dasein im medizinischen Keller verbracht haben. Für die Forscher der Leopoldina ist klar: „Das Virus wird sterben. Weniger sicher aber ist, dass die schlechten Gewohnheiten dieser Welt, ihre Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten, ihre Raffgier, ihre Maßlosigkeit mit ihm sterben werden. Gerade diese sind es doch, die wir bekämpfen müssen. Wenn selbst der Tod keinen Sinn für die Lebenden mehr in sich trägt, woher soll dieser künftig kommen? Wir werden sterben, wie wir gelebt haben, das ist eine alte Weisheit. Die Ursachen für dieses Massensterben zu überdenken, das wir uns selbst zugefügt haben, könnte uns dazu bringen, besser leben zu lernen“ (7).
Für den katholischen Pfarrer Franz Meurer aus Köln-Höhenberg gibt es vier Grundsätze der Ökologie: (15)
Erstens: Alles steht mit allem in Beziehung / Zweitens: Alles muß irgendwo bleiben / Drittens: Die Natur weiß es besser / Viertens: Alles hat seinen Preis (nicht im Sinne von Geld)
Ich finde, keine schlechte Idee für eine Beurteilung des Technopols.
Worauf sollte eine Gesellschaft heute aufbauen? Auf ganz einfachen Dingen, die in Beziehung zueinander stehen: eine Natur und Nahrungsmittel, die ihren Namen verdienen; Ein Gesundheitssystem für alle Bürger, welches sich um die Gesundheit aller kümmert; Ein Bildungssystem, in dem es um Bildung geht; Eine Infrastruktur die den Menschen dient; Arbeitsplätze, die Sinn machen und nicht die Ressourcen plündern; Ein Gesellschaftssystem, was Ungleichheit vermeidet und Hass, Rassismus, Frauenfeindlichkeit und all die menschenverachtenden Auswüchse verhindert. Ich denke das reicht erstmal. Wenn wir das jetzt auf Europa und darüber hinaus ausdehnen würden, könnten wir ein „Internet für die Menschen“ behalten und unseren Kindern und Enkeln strahlend in die Augen blicken. Kooperation und Flexibilität (2) sind die Eigenschaften, die uns von anderen Lebewesen unterscheiden und somit Lösungsmöglichkeiten eröffnen. Respekt vor der Mehrdeutigkeit, Wachsamkeit vor eindeutigen Lösungen. Das Technopol kann nur eindeutige Lösungen anbieten, da die digitale Technologie nur aus „0“ und „1“ besteht, aus Algorithmen. Das Leben ist keine mathematische Gleichung. Wir brauchen ein neues Verhältnis zu unserer Umgebung, denn alles hat seinen Preis, wie wir gerade weltweit „erleiden“.
„5000 Datenpunkte hatte die Firma Cambridge Analytica von einem Großteil der amerikanischen Wähler, um ihre Verhaltensmanipulationen zielgenau vorzunehmen. Esreichen schon 15 Datenpunkte, um 99,98 Prozent der Menschen in einem Datensatz zu identifizieren. Mit den drei Informationen Alter, Geschlecht und Postleitzahl sind es immer noch 73 Prozent. (16)
Ich glaube, wenn die angestrebte Künstliche Intelligenz bereits heute zu entscheiden hätte, würde sie als erstes den von uns angerichteten katastrophalen Unsinn beenden und sofort alle umweltschädlichen und den natürlichen ökologischen Abläufen zuwiderhandelnden Maßnahmen abstellen. Die KI wüsste schon jetzt, dass unsere bisher von wenigen praktizierte derzeitige Lebensweise in die Katastrophe führt, sollte sie fortbestehen. Schluss mit lustig und zwar sofort, quasi Lockdown, für Wachstum und menschliche Überheblichkeit.
Was mir in diesen Tagen besonders Angst macht, ist die Aussage von Ilya Sutzkever, dem Forschungsleiter Open AGI *Elan Musk-Projekt): „Wenn wir falsch programmieren, könnte es so laufen, das die Künstliche Intelligenz (KI) uns so behandelt, wie wir heute die Tiere behandeln“ und etwas später: „Für die KI wird die Zukunft sowieso gut, es wäre schön, wenn sie das auch für die Menschen würde“ (13)
Es scheint so, als ginge es nicht um die Frage, ob wir als Menschen, als homo sapiens -wie wir uns derzeit definieren- überflüssig werden, sondern nur noch um die Frage:
Werden wir glückliche Idioten oder domestizierte Tiere sein?
Wer mehr erfahren möchte:
- Neil Postman, Das Technopol, S. Fischer Verlags 1991
- Yuval Noah Harari, Homo Deus, C.H. Beck, 2017
- Philipp Staap, Falsche Versprechen -Hamburger Edition, 2016
- Niko Peach, Befreiung vom Überfluss -Oekom Verlag, 2012
- Thoma Bauer, Die Vereindeutigung der Welt -Reclam 2018
- SZ 23.04.2020: Eva Illouz, Versprechen einer Welt danach
- SZ 15.04.2020: Leopoldina -Corona und die Folgen
- SZ 27.04.2020: Wolfgang Schimpf, Schulleiter Max-Planck-Gymnasium Göttingen
- SZ 28.04.2020: Felwine Sarr – Nicht der Tod, das Leben gibt dem Leben einen Sinn
- SZ 06.05.2020: Mirjam Hauck, Dark Data
- ZEIT 18-2017: Harald Welzer, Digi-Religion, Schluss mit der Euphorie
- ZEIT 22-2017: Slavoj Zizek, Hinter dem samtenen Vorhang
16) SZ 09-05-2020. Netz und Gesellschaft -diese digitale Welt, von Andrian Kreye
Filme:
- Neuland: https://www.youtube.com/watch?v=FsjqDIXACuQ
- iHuman: https://www.youtube.com/watch?v=F7uj6bT15X4
Sonstiges: